Ein Versuch von Regeln für Treffen

Von Josef Philip Bernhart

15. August 2021

Ich denke es benötigt Regeln für Treffen, weil ich nicht erwarten kann, dass sich jeder Mensch, welcher zu einem Treffen geht sich auch an die Bedürfnisse von den anderen Anwesenden hält, weil jener diese nicht kennt. Oder Werte vertritt, die die Anwesenden nicht diskutieren wollen, weil diese zB. unmenschlich, verletzend, massivst unaufgeklärt, usw. sind. Oder weil Leute innerhalb einer gewissen Definition, schlichtweg lästig oder störend sind und man jene Menschen halt gerade nicht dabei haben will.

Gruppen definieren sich immer durch die Abgrenzung zu anderen Menschen. Und ich dachte mir für eine Esperantogruppe, die grob ein progressives Selbstbild hat und gleichzeitig auch offen genug ist für Menschen die sich unsicher fühlen wo sie politisch stehen. Am Ende geht es mir um die Freude an Esperanto und um gute Gespräche anstatt um unnötige politische Grabenkämpfe, Dogmatismus oder Perfektionismus.

Ich will das vorerst dadurch erreichen durch ein Grundverständnis der Gruppe und andererseits durch Regeln. Mir ist bewusst, dass ich damit meine soziale Prägung, Geschichte, Vorlieben, Mileu, usw. in eine normierende Form gieße, aber von irgendwo muss man ja anfangen. Und daher kann ich gleich auch von meinem berechtigten Eigeninteresse, eine angenehme Gruppe für mich anfangen. Und später eine gemeinschaftliche Basis finden mit Teilnehmer*innen, die idealerweise möglichst viele Menschen miteinschließt.

Denn Diversität ist das was Esperanto auszeichnet, sogar muss!

Grundverständnis

In meiner bisherigen Erfahrung in Vereinen und mit Menschen hat sich über die Jahre die Erkenntnis eingestellt, dass wenn nicht klar ist was unausgesprochen erwartet wird, dann führt das zu Streit oder anderen unangenehmen Situationen. Ich denke daher, dass es für die Gruppe ein Grundverständnis braucht.

Das Grundverständnis dieser Gruppe sind gemeinsam akzeptierten Werte, Ideen über die man nicht diskutiert oder diskutieren muss. Die Grundsäulen wenn man so will, über die man nicht diskutiert, weil man ansonsten nicht mehr voraussetzen kann, was überhaupt diese Gruppe ausmacht. Ohne ein Selbstbild existiert eine Gruppe nicht mehr. Und das Grundverständnis gibt ein grobes Selbstbild vor anhand von einer Aufzählung von Werten oder Ideen. Das kommt Leuten entgegen, die neu sind in der Gruppe.

Daher würde mir folgendes Grundverständnis für eine "linke"[9] Esperantogruppe vorerst vorschweben:

  1. Regeln und ihre Durchsetzung sind wesentlicher Bestandteil einer funktionierenden Gemeinschaft.[10]
  2. Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte gilt für alle Menschen. [6]
  3. Bewusste oder unbewusste Benachteiligung oder Herabwürdigung auf der Basis des Geschlechts, der Geschlechtsmerkmale, der sexuellen Vorlieben, der Hautfarbe, der sozialen Klasse, der Herkunft, der Religion oder einer Behinderung ist zu vermeiden. [11]
  4. Antisemitismus ist abzulehnen. Es gilt die IHRA[1] Definition.
  5. Nationalismus ist schlecht. Internationalismus ist gut. [12]
  6. Faschismus und andere autoritäre Ideologien in jeder Form sind abzulehnen. [5]
  7. Verschwörungsmythen sind abzulehnen, weil sie einer Prüfung nicht standhalten.[13]
  8. Esperanto ist nicht schlecht. [4]
  9. Wissenschaft ist real und funktioniert. [7]
  10. Solidarität und freundliche Umgangsformen sind erstrebenswerte Ideale. [14]
  11. Religion ist Privatsache. Missioniert werden nervt.
  12. Hygiene und Hygienemaßnahmen retten Leben und sind einzuhalten. [8]
  13. Kapitalismus ist kein gutes System. [15]
  14. Menschen die arbeiten, sollten über die Produktionsmittel verfügen.
  15. Hierarchien in der Gesellschaft gehören hinterfragt und unnötige abgebaut.
  16. Dogmatismus[2] oder Fanatismus[3] verkleinert die Weltsicht und zerstört Solidarität und sind daher abzulehnen.
  17. Perfektion ist der Feind einer guten Lösung. [16]
  18. Humor und lockerer Umgang ist gut. [17]

Diese Liste kann nicht vollständig sein. Aber sie ist ein Schritt in die richtige Richtung, da sie schon dabei hilft selbst zu entscheiden, ob man selbst wo rein passen könnte da ein Mensch selbst vergleichen kann, wie sehr er mit den Aussagen übereinstimmt. Was vielleicht dazu beiträgt, dass man sich weniger erklären muss.

Regeln

Regeln gibt es immer bei sozialen Gruppen. Sei es im Chatraum nur ab Mittag unerfreuliche Dinge zu verlinken oder bei irgendeiner Person ein bestimmtes Pronomen zu verwenden. Oder bei einem Firmentreffen den akzeptierten Dresscode anzuziehen. Zu behaupten es gäbe keine Regeln in einem sozialen Zusammenhang ist Augenauswischerei, es gibt immer Regeln.

Vor dem Treffen

  1. Komme nur zu Treffen, wenn du nicht verdreckt bist. Als Leitlinie soll gelten: Bade oder Dusche dich in der Früh vor dem Treffen, putze deine Zähne. Wenn du nur verschwitzt bist wegen Sport, Radfahren, Hitze, usw., dann ist das ok.
  2. Feuerwaffen und 1:1 Nachbauten von Feuerwaffen als Spielzeug sind verboten zu einem Treffen mitzunehmen, auch wenn du einen Berechtigungsnachweis hast diese zu tragen.
  3. Wenn du öfters stinkst, weil du chronisch stark schwitzt oder es einen anderen Grund dafür gibt, dann versuch das zu ändern (zB. weniger Deo oder das richtige Deo nicht zu viel, usw.).
  4. Komme nur zu einem Treffen, wenn du die innere Stabilität hast, deine Standpunkte zu erklären. Also wenn du gerade fähig bist, eine Diskussion zu führen.

Während dem Treffen

  1. Wenn du kommst zum Treffen dann grüße die anderen Leute, wenn du gehst dann verabschiede dich. Begrüßung oder Verabschiedung kann winken, eine Grußformel sagen oder eine andere Art und Weise sein. Erwarte nicht, dass jeder die gleiche Art und Weise verwendet zu grüßen oder sich zu verabschieden.
  2. Rede mit anderen Menschen auf Augenhöhe, schaue daher nicht auf sie herab und pflege mit ihnen einen Umgang der nicht grob ist.
  3. Wenn du Zeitungen oder andere Gegenstände selbst herstellst oder gekauft hast, bitte drücke die nicht jedem Menschen in der Runde bei jedem Treffen auf (weil zB. es gerade die neueste Ausgabe ist oder du es ganz frisch gekauft hast). Das ist störend. Lege das was du teilen willst, auf einen Tisch oder auf eine Fläche, dann kann sich jeder der daran interessiert selbst bedienen.
  4. Bei verletzenden Aussagen, sag der anderen Person, dass das jetzt verletzend war, nimm dir gegebenenfalls ein paar Minuten zum Beruhigen und erkläre dann der anderen Person was du verstanden hast. Vielleicht war es nur ein unbeabsichtigtes Missverständnis, was dir auch mit anderen Personen passieren kann. Wenn es beabsichtigt war, dann muss die Gruppe darüber entscheiden, wie mit dieser Situation umzugehen ist.
  5. Sehe den anderen Menschen nicht als einen Feind, sondern als einen Gesprächspartner, von dem du neue Dinge lernen kannst an.
  6. Wenn wer eine Diskussion nicht führen will, respektiere das.
  7. Vergangene schlechte Erfahrungen geben dir nicht das Recht, andere ebenfalls schlecht zu behandeln.
  8. Kommuniziere klar und unmissverständlich, wenn eine teilnehmende Person deine Grenzen verletzt. Versuche, wenn möglich, deinen Standpunkt nicht verletzend zu vermitteln.
  9. Fertige Fotos, Videoaufnahmen oder Audioaufnahmen nur nach vorherigem Einverständnis, der Personen die aufgenommen werden, an.
  10. Das Grundverständnis und die Regeln sind einzuhalten. Unterstütze andere bei der Durchsetzung der Regeln und des Grundverständnis. Bei Bedarf mit dem temporären oder permanenten Rauswurf der Personen, die sich nicht um die Regeln oder das Grundverständnis kümmern.

  1. IHRA steht für International Holocaust Remembrance Alliance, ihre Definition ist:
    Antisemitism is a certain perception of Jews, which may be expressed as hatred toward Jews. Rhetorical and physical manifestations of antisemitism are directed toward Jewish or non-Jewish individuals and/or their property, toward Jewish community institutions and religious facilities.

    Sie wurde geschaffen, weil in "linken" oder muslimischen Kreisen sich genug Antisemitismus wiederfindet, der sich als Kritik am Staat Israel tarnt. Die Definition erlaubt die Kritik am Staat Israel.

  2. Siehe Dogmatismus. Sprich, ich will nicht, dass Leute auf ihren Ideen als die reine wahre Lehre beharren. Das Grundverständnis in der Hinsicht ist keine Sammlung von Dogmen, weil sie kritisiert werden können und ich oder "wir" diese ändern können. Sie sind eine Richtschnur für wer in der Gruppe ist und wer eher außerhalb ist.
  3. Siehe Fanatismus. Fanatiker sind anstrengend, da sie jeden von ihren Ideen überzeugen müssen, denn wenn sie es nicht können, lehnen sie die andere Person sehr stark ab oder bekämpfen diese. Und das ist unsolidarisch, daher schließt das Grundverständnis diese Leute aus.
  4. Es ist eine Esperantogruppe, daher ist schon mal die Stimmung so, dass Esperanto kein Mist ist. Ob die Sprache jetzt "perfekt", "fehlerhaft", "verbesserungswürdig", usw. ist, ist ein Thema für Diskussionen innerhalb der Gruppe. Leute die nur einfach hinkommen und von einer "sexistischen naiven Kacksprache" anfangen zu reden, die sind nicht willkommen. Leute die Esperanto nicht können, aber mal reinschnuppern wollen, die sind selbstverständlich willkommen.
  5. Damit sind gemeint unter anderem der "klassische" Faschismus, der Nationalsozialismus, jede Diktatur, Maoismus, Stalinismus, Leninismus oder Marxismus-Leninismus. Jede dieser Vorstellungen haben genug Menschen das Leben gekostet und widerstreben fundamental der Vorstellung einer Kommunikation auf Augenhöhe und gegenseitiger Wertschätzung die Esperanto innewohnt.
  6. Siehe die Definition bei Amnesty International
  7. Leute die sich nicht durch Fakten umstimmen lassen wollen oder sich nicht auf Fakten beziehen sind nicht willkommen. Ich will keine Verschwörungsgläubige, keine Querdenker, keine Esoteriker, keine Homeopathen, Geistheiler, keine Leute die ihr Essen mal "einpendeln" müssen, keine Leute die an Schüßlersalze glauben, keine Hellseher, usw. Diese Menschen stehen in der Regel weit rechts, ohne das sie es wissen. Und verbreiten Ideen, die schädlich für sich selbst oder die Allgemeinheit sind. Bitte sei skeptisch und beziehe dich idealerweise auf echte Studien oder andere seriöse Quellen die sich im bisherigen Wissensstand der Wissenschaften bewegen. Etwas nicht zu wissen ist ok. Wir kennen uns alle zu verschiedenen Graden aus und jed*er hat Wissenslücken. Lasse dich nicht von den "harten" Formulierungen verwirren, es soll kein Circle-jerk von Nerds sein.
  8. Wir haben gerade Pandemie und daher sind Hygienemaßnahmen nicht optional. Und wenn du keine Krankheit hast die eine Impfung nicht ermöglicht, dann lass dich impfen. Wenn du anderer Meinung bist, dann bist du wohl woanders besser aufgehoben. Daneben ist Hygiene Solidarität mit seinen Mitmenschen und das würde wiederum dem Selbstverständnis von Esperanto widersprechen.
  9. Links oder mitte-links, also keine Leute die klar wieder zu barbarischen Zeiten zurück wollen oder zu der barbarischen Ungleichbehandlung von Menschen wegen Gründen.
  10. Ohne Regeln geht halt nicht. Ein Konzept wie "gutes Benehmen" ist auch eine Sammlung von Regeln, die wer durch die Gesellschaft, einen Benimmkurs oder das Elternhaus gelernt hat. Und wer meint Regeln erst recht zu ignorieren, auch wenn man denjenigen darauf hinweist, der ist bei Treffen nicht willkommen.
  11. Religionen stehen auf dieser Liste auch, dass heißt leider nicht, dass religiöse Menschen sich groß wohlfühlen werden. Weil tendenziell ist die Gruppe gedacht für Atheisten, Agnostiker oder Menschen für die Religion eher eine Kultursache ist anstatt einer Glaubenssache. Das heißt Fanatiker jeder Glaubensgemeinschaft werden es eher schwer bei uns haben. Ich will nicht bekehrt werden und will das auch von niemanden anderen in der Gruppe sehen. Wir wollen unseren Frieden haben.

    Menschen mit Behinderungen werden leider unzureichend bei uns unterstützt werden, weil wir uns in Orten treffen oder durch unser "sein" wir diese benachteiligen. Das ist nicht meine dezidierte Absicht. Aber leider mehr dem Umstand geschuldet, dass nicht jeder in der Gruppe eine Gebärdensprache spricht oder Treffen an Orten stattfinden, die nicht geeignet sind für Rollstuhlfahrer. Daneben wir als Gruppe wohl auch andere Mängel haben, die Menschen mit einer Behinderung tendenziell benachteiligt. Das tut mir leid, aber vielleicht finde ich eine Möglichkeit mehr Menschen willkommen zu heißen.

  12. Die interne Idee von Esperanto, dass man jeden Menschen nur als Mensch und seinen Bruder sehen soll, ist bereits eine Idee die gegen einen starken Nationalismus steht. Es gab historisch den komischen Fall, dass Esperanto-Sprecher auch Nazis waren, aber diese wurden wiederum von den "echten Nazis" bekämpft. Da Esperanto für Internationalismus steht von der Idee für die Sprache selbst als auch die Sprechergemeinschaft, ist es nicht verwunderlich, wenn der Grundsatz so definiert wird. Internationalismus ist Esperanto. Und Internationalismus ist mit Nationalismus (Die eigene Nation zuerst) nicht vereinbar.
  13. "Verschwörungsmythen" ist der neuere Begriff für "Verschwörungstheorien". Diese Ideen werden durch diesen Begriff auf den Platz verwiesen, der ihnen gebührt. Es sind keine Theorien, die irgendeinen Fuß in der Wirklichkeit haben und sogar überprüft und bestätigt wurden, was das Wort "Theorie" aussagt. Sondern wüste Ideen, die auf Wunschdenken, eigene Fehlwahrnehmungen oder eigene Fehlschlüssen beruhen. Sie stimmen nicht und sind obendrein für die Gesellschaften schädlich und fördern eine emotionale gefährliche Basis für Kriege und Aufstände. Daher sind sie absolut nicht willkommen.
  14. Das Ziel ist nicht, dass bei Treffen nur schöne Worte fallen dürfen oder das jeder nur Grinsen darf, so als ob Stalin höchstpersönlich den Teilnehm*ern den Lauf einer AK47 gegen die Schläfe drücken würde. Aber als Ziel sollte es sein, dass Leute gerne zu Treffen gehen, weil sie sich nicht beleidigt fühlen und weil sie Freundschaften aufbauen konnten. Oder nette Gespräche haben konnten. Solidarität ist die Basis auf der eine Gemeinschaft gedeien kann.
  15. Hiermit ist schlichtweg gemeint, dass Leute willkommen sind, die sich noch keine Gedanken über den Kapitalismus gemacht haben als auch Leute die sich diese gemacht haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass er nichts taugt.
  16. Dieser Grundsatz ist allgemein gemeint. Er gilt für Esperanto, als auch für Lösung in der Gruppe für Probleme. Lieber eine Lösung für ein Problem was so beinahe hinhaut als eine "perfekte" Lösung die übermäßige Mittel der Gruppe bindet. Zum Beispiel: Ideal wäre es, wenn Flugblätter selbst gedruckt werden würden, da das aber Zeit bindet und daneben das die Flugblätter unschön ausschauen auf dem bescheidenen Hausdrucker, passt das halt nicht. Weniger Zeit und Mittel bildet es wenn der Druck an einen professionellen Dienstleister ausgelagert wird. Ich will nicht groß diskutieren müssen, ob es ethisch fragwürdig ist für Esperanto zu werben, weil Flugblätter mit der falschen Farbe, dem falschen Papier oder der falschen Druckerei hergestellt wurden.
  17. Humor ist reinigend. Humor hilft über emotionale Tiefs hinweg als auch über schlechte Erfahrungen. Die schlechteste Realität lässt sich ertragen, wenn man darüber lachen kann. Humor ist daher ethisch richtig. Auch vom Selbstverständnis ist mir eine Gruppe sympathischer, die über sich oder über verschiedene Dinge lachen kann. Humor hilft auch gegen Dogmatismus und Fanatismus, denn Dogmatiker und Fanatiker können nicht lachen, alles ist in ihrer Welt ernst zu nehmen.
© Copyright Josef Philip Bernhart 2020, 2021